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Warum Edith-Stein-Schule?

Viele fragen: Warum ist Ihre Schule nach Edith Stein benannt? Wer ist überhaupt diese Frau? Was hat sie mit den Sehbehinderten zu tun? Auf diese Fragen kann man in der Tat nicht mit einem kurzen Satz antworten. Edith Stein ist nach Ansicht vieler eine der bedeutendsten Frauen unseres Jahrhunderts. Vom Leben dieser Frau wird an anderer Stelle berichtet. Wenn man sagt: Edith Stein war eine angesehene Philosophin, so ist das wahr. Doch was soll man mit Philosophen schon viel anfangen? Wenn man sagt: Edith Stein war eine Vorkämpferin für die Rechte der Frau, so stimmt auch dies. Doch, was hat das mit uns zu tun? Verweist man darauf, daß sie eine Jüdin war, die in den Gaskammern von Auschwitz ums Leben kam, so hat man recht. Eine entsetzliche Tatsache. Doch sieht man damit noch nicht ein, warum wir unsere Schule nach dieser Frau nennen. Kommt man der Antwort näher, wenn man darauf hinweist, daß sie eine Karmelitin war? Es ist zu befürchten, daß die meisten das schon gar nicht verstehen und immer noch nicht unsere Frage beantwortet sehen.

Man muß zugeben, daß nichts Konkretes im Leben dieser Frau unmittelbar auf Sehbehinderte weist. War die Benennung nach Edith Stein also richtig? War es nur ein subjektiver Einfall derer, die diesen Namen gewählt haben? Verrät es nicht mehr von deren Vorstellungen und Ideen und weniger von den Sehbehinderten, unserer Einrichtung und unseren Problemen? Ein Teil wird ablehnend reagieren und sagen: das interessiert uns nicht. Andere werden ratlos den Kopf schütteln und sich nicht identifizieren. Sicher aber gibt es auch solche, denen die Benennung gefällt, nicht nur weil der Name gut klingt, sondern weil sie Sympathie für diese große Frau hegen und es gut scheint, sie zu schätzen und zu ehren. Doch überzeugt das vielleicht einige, während andere nichts damit anfangen können. Hätten wir am besten unsere Frage gleich gar nicht gestellt? Wir hätten uns so erspart, in Verlegenheit zu geraten. Das aber läßt unsere Namensgebung verfehlt erscheinen, was nicht befriedigen kann. So sei versucht, sie zu begründen in dem Bewußtsein, daß dies sehr schwierig ist.

Edith Stein war eine Frau, die man nicht versteht, wenn man nur ihr äußeres Leben ansieht. In ihr war eine ungeheure Innerlichkeit, eine überwältigende Kraft, die es ihr ermöglichte, ein schreckliches Schicksal in einer Weise zu meistern, die Bewunderung verdient. Schon während ihres Lebens sah sie sich zunehmend abgelehnt und mußte am Ende grausame Demütigungen erdulden, nur weil sie Jüdin war. Sie mußte hinnehmen, daß man ihr den Beruf nahm, sie arbeitslos machte und damit die Grundlage der Existenz nahm, nur weil sie Jüdin war. Sie mußte schließlich die Heimat verlassen, den gelben Stern anstecken, den anderen selber zeigen, daß man sie verhöhnen darf, ja soll. Sie durfte kein Mensch mehr sein - innerhalb des Volkes, in dem sie aufwuchs und das sie liebte. Dann hat man sie verhaftet, wie Vieh in Güterwaggons mit anderen gepfercht und als höchst unerwünscht, unnütz, ja schädlich umgebracht in der Gaskammer von Auschwitz. Dort fand man in der Asche von Millionen Menschen zahllose Zettel, die einzig deshalb geschrieben wurden, damit man nicht vergißt, was sich dort ereignete, uns Heutigen zur Mahnung. Es ist so schrecklich, daß wir, die wir verschont geblieben sind, kaum den Gedanken daran ertragen, um wieviel mehr die Opfer, darunter Edith Stein.

Wie kaum etwas anderes suchte und verlangte Edith Stein nach Wahrheit, ein ganzes Leben lang. Nicht nur ihre Werke, nicht nur ihr Leben, sondern sogar ihre namenlose Asche ruft uns, ja schreit uns zu, die Wirklichkeit zu sehen und zu nehmen, wie sie ist. Dazu gehört auch, zu erkennen, wie sie selbst ihr Los ertragen und gemeistert hat, vor allem in den Stunden, da es irdisch keinen Ausweg mehr gab.

Ganz zuletzt, so lesen wir in ihrem Leben, berichtet man von ihr, daß sie sich der Kinder annahm. Sie sah diese armen Kleinen. Deren Mütter waren von Verzweiflung überwältigt, dem Wahnsinn nahe, so daß sie ihre Kinder vergaßen. Dies bemerkte Edith Stein, ging zu den Kleinen, wusch sie, tröstete sie, kümmerte sich um sie. In der Heiligen Schrift heißt es: »Und wenn eine Mutter ihrer Kinder vergäße, ich vergesse dich nicht.« So spricht der Herr. Dieses Wort der Heiligen Schrift war Edith Stein wohl vertraut.

Sie war sicher nicht frei von Angst, unheimlicher Angst, doch wurde sie davon nicht zermürbt. In ihrem Inneren erlebte sie Geborgenheit in dem der sich ihr imJuden Christus als der offenbarte, durch den allein das Kreuz zu besiegen ist. Aus der Zeit, da sie sich um die Kinder im Lager kümmerte, stammt auch der letzte ihrer Briefe. Am Schluß schreibt sie so nebenbei in Klammern: »(konnte bisher herrlich beten)«. Wenn man diesen Nebensatz richtig betrachtet, sagt er uns mehr als ihre zahllosen, bemerkenswerten Briefe und Werke. Er zeigt, daß es keine Not gibt, und sei sie noch so groß, in der der Mensch wirklich verzweifeln muß. Das ist von uns am grünen Tisch leicht gesagt. Edith Stein aber saß nicht am grünen Tisch. Darum sollte man auf sie hören. Kann man nicht auch für uns und unsere Aufgabe daraus Wesentliches entnehmen?

Unsere Sehbehinderten sehen sich oft in eine Lage versetzt, in der sie niedergeschlagen oder sogar verzweifelt sind. Das gilt für alle Menschen. Aber jene haben darüber hinaus ein unabänderliches Los zeitlebens zu bewältigen Da braucht es Hoffnung und Zuversicht. Unsere Erziehung vermittelt eine Fülle von wichtigsten Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Sprechen, Rechnen und so weiter. Dies ermöglicht Hoffnung. Doch herrschen in unserer Welt Dinge, die mit diesen Fähigkeiten nicht mehr zu bewältigen sind: Krankheiten, Mißernten, wirtschaftliche Katastrophen, Streitigkeiten, Verleumdungen, Hungersnöte, Überschwemmungen, Brände, Erdbeben, Unfälle, Kriege und vieles andere, vor allem der für jeden unvermeidliche Tod. Solche Dinge hatte auch Edith Stein zu meistern. Erst wenn wir diejenigen, die sich uns anvertrauen, vorbereitet haben, solche Lagen mit Hoffnung, Mut und Zuversicht zu bewältigen, haben wir unseren Erziehungsauftrag voll erfüllt, vorher nicht.

Wie aber ist das möglich, wenn alles in dieser von Raum und Zeit beherrschten Welt versagt? Wohin soll unser Inneres sich wenden? Bleibt da nur der Ausblick und Zugriff auf einen, den weder Raum noch Zeit begrenzen, nur das Vertrauen auf einen, den weder der Verstand noch das Herz eines Menschen ergründen, begreifen oder fassen kann? Daß auf diese Frage der moderne Mensch nicht so leicht Antwort findet, lehrt Edith Stein, diese unerhört gescheite Frau durch ihre glaubenslosen Jugendjahre. Daß aber trotz dieser Beschwernis eine tröstliche Antwort entdeckt und erkannt werden kann, beweist wieder diese Frau, die bei ihrer Suche nach der Wahrheit im Kreuz auf den gestoßen ist, der ihr eine durch nichts in dieser Welt zerstörbare Hoffnung gibt. Mit seiner Kraft hat sie sich der Kinder im Konzentrationslager angenommen, konnte herrlich beten und war bereit trotz aller irdischen Hoffnungslosigkeit mit Zuversicht und Mut in den Tod zu gehen, und das auch für das von ihr geliebte, sie verfolgende Deutschland und den Frieden der Welt. Welch eine wunderbare Frau? Sollten wir sie uns vorenthalten. Gut wäre das nicht. Gelänge es uns, den uns Anvertrauten einen solch unzerstörbaren Mut und die dazugehörende Hoffnung zu vermitteln, hätten wir bei uns und unseren Sehbehinderten das wertvollste Ziel erreicht. Daß dies modernen Menschen trotz aller Schwierigkeiten möglich ist, beweist Edith Stein. Wie die Kinder durch ihre Zuwendung Trost erfuhren, sollten wir durch ihr Beispiel Hoffen lernen. Darum haben wir unsere Schule nach ihr benannt. Wir hoffen, daß man dies versteht und bedrängende Zweifel zur Ruhe gekommen sind.

»Gott allein genügt!« (Theresia von Avila)
Text: P. Friedrich Setzer S.J.